Gong Fu
Üblicherweise wird es Kung Fu ausgesprochen. Meine Lehrerin Christel mahnte mich aber immer es traditionell chinesisch auszusprechen: „Gong” bedeutet Arbeit. „Fu” bedeutet „Vollkommenheit.” Gong Fu ist die Arbeit an der Vollkommenheit.
Wir kennen das Kung Fu nur als eine bestimmte äußere Kampfkunst, die Mutter des Tai Chi.
Gong Fu ist aber ein philosophisches Prinzip, eine bestimmte Einstellung zum Leben.
Für mich spielt dieses Gong Fu eine ganz zentrale Rolle. Was auch immer ich tue, tue ich in der Haltung des Gong Fu. Das bezieht sich nicht nur auf mein Tai Chi sondern auch auf ein Gespräch das ich führe, und die Art wie ich eine Flasche anfasse um mir ein Glas Wein einzugießen. Für mich wird das Leben und Arbeiten auf diese Weise zum Spiel. Ich freue mich an der Aufgabenstellung und am Gelingen ebenso wie am Verlieren.
Kinder die lernen mit Holzklötzen zu bauen, versuchen sich am Erlernen der Statik. Immer versuchen sie etwas, das sie eben noch nicht konnten. Natürlich gibt es auch mal Tränen, wenn ein Turm einstürzt. Das hält aber kein Kind lange davon ab es aufs Neue und noch höher hinauf zu versuchen. Ist der Turm fertig, kann man ihn einschmeißen. Es geht mehr um die Haltung beim Machen, als um ein bestimmtes Ergebnis. Das Ergebnis ist nur die Aufgabenstellung unter der das Machen dann eine Richtung bekommt und Spaß macht.
Erwachsene und auch meine Tai Chi Schüler empfinden beim Gong Fu oft etwas vollkommen Anderes. Aus „Arbeit an der Vollkommenheit” wird etwas wie „Du solltest vollkommen sein”. Verstehst Du das Gong Fu so, wertet es Dich in Deinem jetzigen Zustand ab und gibt Dir die Aufgabe etwas Unerreichbares zu erreichen. Auf den Horizont zuzugehen ist etwas vollkommen anderes als ihn erreichen zu wollen.
So wirst Du nie einen befriedigenden Zustand erreichen können, denn was auch immer Du erreichst, es wird immer jemanden geben der es besser kann oder besser könnte.
Die Vollkommenheit anzustreben macht nur Sinn, wenn sie Dir eine Richtung vorgibt, einen Weg, auf dem der wichtigste Punkt immer der ist, auf dem Du Dich gerade befindest.
Es ist nicht leicht Dich selbst in dem Zustand zu lieben in dem Du gerade bist. Viele Menschen lieben sich nur für das, was sie sein könnten oder vielleicht auch für das was sie erreicht haben. Das bist aber nicht Du und Du wirst es auch nie sein.
Empfinde Lust an Dir selbst und Deinem jetzigen Tun. Damit hast Du die besten Aussichten Dich der Vollkommenheit anzunähern ohne das es darum geht sie zu erreichen. Auf einer Wanderung ist nicht ein Teil des Weges der dichter am Ziel ist besser als einer der mehr am Anfang liegt. Das Gehen selbst und die Freude daran, geben der Wanderung und damit auch dem Ziel seinen Sinn.
Es ist fein, wenn Du durch die Haltung des Gong Fu zu sehr guten Ergebnissen kommst, etwa Deine Tai Chi Form sehr gut laufen kannst oder gut pushst. Das erreichte Ergebnis hat aber nur Sinn, wenn es nicht um das Erreichen dieses Zieles gegangen ist.
Vollkommenheit, die den unvollkommenen Jetzt-Zustand nicht einschließt, schafft ein unerreichbares Ziel und wertet alles andere als Unwert ab. So eine Vollkommenheit ist zerstörerisch.
Vollkommenheit, die den unvollkommenen Jetzt-Zustand mit einschließt, strahlt Sinn und Richtung auf den Moment aus.
So wollen wir uns im Gong Fu üben.