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Christel Proksch

Ohne Christel hätte ich Taiji nie kennen gelernt, ohne Christel sähe mein Leben vollständig anders aus.

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Christel war meine Großtante, meine Lehrerin und mein Vorbild für ein wildes, schönes Leben.

Ohne Christel hätte mein Leben vollständig anders ausgesehen. Das was ich heute meinen Schülern zu geben habe, habe ich von Christel empfangen und entwickle es auf meine Weise fort.

Christel war eine Lebenslehrerin voller Charisma und Feuer. Sie war verliebt in den Augenblick und hat viele Menschen in ihrem Umfeld in diese Liebe mitgenommen. Am 8. September 2010 hat sie ihren Körper zurückgelassen. Es ist schön, ihr Schüler zu sein.

Christel Prokschs Mutter war auch die Mutter meiner Großmutter.

Ich war schon als kleines Kind fasziniert von der Lebendigkeit und Weltoffenheit ihrer Familie. Eine die Großfamilie erschütternde Liebesgeschichte von Christel führte sie nach Asien. Sie, damals 50 und ihr Geliebter, damals 18 waren nach Asien geflohen und hatten dort einen ganzen Kontinent für ihre Liebe und das Entdecken der Welt.

Nach ein paar Jahren kam Christel in ihre Heimat zurück und brachte das Tai Chi mit. Damals war das so fremd und exotisch wie es nur sein konnte. Christel hatte nur ein paar Monate Zeit gehabt, es bei ihrem verehrten “Koch” in Taiwan im Park zu erlernen.

Dieser Koch war ein Schüler Cheng Man Chings gewesen und hatte Christel die Form beigebracht und sie als besondere Anerkennung hier und da auf den Boden geschleudert. Außerdem hatte Christel Chinesisch und Kalligraphie erlernt.

So aufgeladen kam Christel zurück und faszinierte die Menschen in ihrem Umfeld. Studenten, aber auch Anwälte, Ärzte, Psychologen, Kampfkünstler und Künstler drängten sich in ihren Kursen.

Wer zu Ihr kam, lernte das Loslassen, ein Gut, das in den 80er Jahren noch sehr neu war. Ihre Schüler waren zu tiefst bewegt von Ihrem Charisma und der seltsamen langsamen Bewegung. Das Leben der Schüler veränderte sich durch dieses “Loslassen”. In ihren Kursen verliebten sich die Menschen, es entstanden Paare, ebenso wie sich Menschen trauten, loszulassen von erstarrten Verbindungen.

Ich lernte bei ihr, lebte zum Teil bei ihr, reiste mit ihr, unterrichtete und atmete mit ihr den Geist des Entdeckens. Mit Christel zusammen zu sein bedeutete, die Welt als Wunder und Abenteuer zu erleben.

Sie wollte keine Tai Chi Expertin sein, auch wollte sie, als ich das Tai Chi Netzwerk ins Leben rief, daran nicht teilnehmen, obwohl sie uns noch den Namen gab. Ich hatte zuvor den umständlichen Titel “Assoziation zur Förderung des Tai Chi” gewählt.

Ohne Christel wäre mein Leben ganz anders verlaufen und das Tai Chi in Deutschland hätte andere Wege genommen.

Ihr dankbarer Schüler
Daniel

“IN MEMORIAM” Daniels Nachruf auf Christel Proksch.

Christel ist gestorben

Sie war eine kleine, große Frau, die die Menschen liebte und von den Menschen geliebt wurde. Sie hat uns mit Leichtigkeit bewegt und die Gabe zu Bewegen an uns weitergegeben.

 

Christel kenne ich noch aus meinen Kindertagen inmitten ihrer ungewöhnlichen Familie. Sie lebten in einem Bungalow in Bremen. Das erste Haus ohne Dach und nur aus Fenstern, das ich erlebt habe.

 

Dort gab es eine frei schwebende Treppe, einen Stuhl, der nur aus einem großen Ledersack voller leichter Kugeln bestand. Das Haus strahlte Wohlstand, Internationalität, Sinnlichkeit und Intellekt aus. Es war modern, vieles davon schien geheimnisvoll und manche Dinge, die ich für verboten hielt, gehörten dort ganz selbstverständlich zum Alltag. Ich erlebte Christel und ihren Ehemann als ebenbürtige Freimenschen.

 

Es hieß, die Familie habe ein Geheimnis: Es würde nie gestritten werden. Wie ich später erfuhr hieß das familienintern „die Diktatur der guten Laune“. In ihren schlechten Zeiten, so erzählte Christel mir, habe sie sich ins Badezimmer eingeschlossen und mit den Fäusten auf das Waschbecken eingetrommelt.

 

Sie erlebte in tiefen leidenschaftlichen Zügen den Krieg, die Liebe, das Studium, den Wiederaufbau, Familie, Kinder und bürgerlichen Wohlstand. Ebenso aber auch die Revolte der 68er und schließlich eine wilde, verbotene Liebe zwischen ihr, damals 50-jährig und einem jungen Wilden von unglaublichen 18 Jahren. Sie flohen vor der Familie, den Vorurteilen und vielleicht auch den Folgen ihrer Liebe nach Asien, das sie fast ohne Geld und ohne eine Idee von Zukunft für eine Zeit außerhalb der Zeit bereisten.

 

Christel ging dort morgens um 7:00 Uhr zu ihrem Chinesisch-Unterricht. Dabei kamen ihr gutgelaunte Menschen aus allen Richtungen entgegen. Als Christel einen dieser wohlaussehenden Menschen fragte, woher sie alle kämen, antwortete der sehr chinesisch: „Steh früher auf und sieh selbst nach.“

 

Als sie sich tags darauf zwei Stunden früher auf den Weg machte, sah sie von weitem zwischen den Bäumen des Parks Menschen seltsame, langsame Bewegungen ausführen. Christel erzählte mir, es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen. Noch bevor sie wirklich erkennen konnte, was sie da sah, hatte ihr Herz ja zu einer Leidenschaft gesagt, die den Rest ihres Lebens bestimmen sollte.

 

Tai Chi hieß diese damals in Deutschland vollkommen unbekannte Kunst. Unter den vielen Lehrern im Park entdeckte sie einen Koch und ehemaligen Schüler des Genies und Sonderlings Cheng Man Ching. Diesen Koch verehrte sie und lernte widerstandsfrei von ihm, obwohl er auf ihre Fragen immer nur antwortete „denk selber nach“ und sie als besonderes Zeichen seiner Anerkennung in den Staub stieß. Christel nahm all das damals als Ausdruck einer fremden geheimnisvollen Welt in sich auf.

 

Ihre phantastische Liebe verglühte ebenso überwältigend plötzlich wie sie entstanden war. Doch kehrte Christel mit einer neuen Leidenschaft nach Deutschland zurück, die es ihr ermöglichte ihr eigenes Leuchten mit einem Handwerk zu verbinden, in dem das Leuchten zur selbstgestalteten Wissenschaft wurde.

 

 

Ich erinnere mich, wie Christel eben von ihrer grenzensprengenden Reise zurück, unsere Familie besuchte und eine Taiji Form in unserem eichengetäfelten Wohnzimmer vor dem Kamin vorführte. Es war zunächst überraschend anders als alles was ich bis dahin gesehen hatte und dauerte dann unglaublich lang.

 

Christel selbst faszinierte mich weitaus mehr als ihre langatmige Körperkunst. Ich hätte damals Alles gerne bei ihr gelernt. Schreibmaschine mit 10 Fingern schreiben wäre mir weitaus lieber gewesen. Da sie aber nun mal Taiji anbot, lernte ich Taiji.

 

Christels Tag begann morgens um 7:00 im Park und endete abends um 22:00 in ihrer Wohnung. Danach sind Christel und ich oft noch zum Griechen gegangen um bei Retsina und Zaziki immer noch mehr von dem Wesen der Welt zu erjagen. Es verging kein Unterricht im Park, bei dem nicht Passanten stehen blieben, interessiert fragten und oftmals versprachen zum nächsten Anfängerunterricht zu kommen.

 

In ihrer Wohnung in der Brahmsallee quoll der enge Flur und die zu kleinen Taijiräume von Sinnsuchern über. Das große, uralte, weise und geheimnisvolle China war damals noch ein weißer Fleck auf der Landkarte der Phantasie. Noch wusste man kaum etwas von den wirklichen Schrecken Maos. Der Platz des himmlischen Friedens war noch nicht in sein Gegenteil verkehrt worden und die Supermacht China noch ein verzauberter Drache.

 

Christel lehrte uns nicht nur das Taiji, von dem sie selbst nach heutigen Maßstäben noch so gut wie nichts kennengelernt hatte, sondern sie sprach auch chinesisch, lernte Kalligraphie und brachte uns Laotse und seine seltsam sympathische, eigenwillige Weisheit nahe.

 

Mindestens so wichtig wie der Bewegungsunterricht war uns das Teetrinken zuvor. Es war fast immer von Christels Abenteuern oder von den bewegenden Geschichten ihrer inspirierten Schüler angefüllt. Wir saßen beieinander und genossen wie sich die Welt unter Christels Gegenwart in alchemistischer Weise in Entdeckung, Wagnis und Überraschung wandelte. Ihre Schüler wagten sich aus alten unlebendigen Verbindungen heraus. Sie verliebten sich ineinander. Tatsächlich fanden die meisten Schüler der frühen Jahre dort ihre Partner.

 

Die Friedensbewegung war in vollem Gange und der Weltfrieden schien durch atomares Hochrüsten gefährdet. In der Kampfkunst, die uns Christel lehrte, bestand das Kämpfen darin, sich selbst zu spüren und so seine Mitte zu finden. Sie zeigte uns einen Weg, um nicht mehr für oder gegen ein Außen bestimmt zu werden, das doch immer ein Außen bleiben muss. Das waren Gedanken von überwältigender Kraft. Endlich gab es einen Ort, auf den man seinen Geist ausrichten konnte, ohne in Verwirrung zu geraten. Die eigene Mitte, das Spüren der eigenen Schwere auf den eigenen Füßen.

 

Einfach gesagt, entdeckten wir das „Entspannen“. Kaum vorstellbar, dass wir damals Nächte lang darüber philosophierten, was Entspannung eigentlich sei. Damals entstand ein Kulturgut, das heute im Zentrum unserer Weltsicht steht. Heute wissen wir, dass der Wert des eigenen Lebens zu einem guten Teil darin besteht, ob wir uns in uns selbst wohlfühlen können und dass dieses Wohlfühlen fast gleichbedeutend damit ist, ob wir entspannen können. Körperliches Entspannen war uns damals unendlich viel schwerer als heute. Damals war es uns auch nach Jahren des Übens praktisch unmöglich, die Schultern auch unter Belastung der Arme entspannen zu können. Heute können das Schüler des Öfteren schon in ihrer ersten Taijistunde.

 

Christels Begeisterung für die Begeisterung der Anfänger kannte keine Grenzen. Wenn wir etwa in einer übervollen Gruppe mitten in der Meditation waren, klingelte laut im Gang das Telefon. Christel ging ohne zu zögern hinaus, während wir versuchten, ohne sie weiter im Fluss zu bleiben. Draußen am Telefon hörten wir Christel dann lachend rufen: „Nein, Du störst überhaupt nicht, ich darf doch Du sagen?“ Ihre weniger offenherzigen Schüler haben damals gedacht: „Doch, das stört.“ Und dann rief sie weiter ins Telefon: „Doch, da findet sich immer noch Platz in dem Kurs.“ Die eifersüchtigen Schüler haben dabei gedacht: „Nein, es ist überhaupt kein Platz mehr da, ich kann ja meine Arme gar nicht ausstrecken ohne gegen meine Nachbarn zu stoßen“.

 

 

Christels eigenes Leben folgte der Freude am Teilen ohne Zögern. So nahm sie in der kleinen Wohnung, in der kaum Platz für Taiji und ihre eigene reduzierte Privatsphäre war, spontan eine chinesische Familie mit Kind auf, die dann für ein paar Jahre einen Raum mit ihr teilten, den sie selbst kaum hatte. Diese Familie, die verborgen vor den Augen ihrer Mitmenschen Taiji und Qi Gong praktiziert hatte, wurde durch den Kontakt zu Christel zu einer Lehrerfamilie, die bis heute die Taiji-Szene in Deutschland und Österreich mitprägt. Jim Bo, der Mann der Familie, begann bei Jan Silverstorf seinen Taijiweg, der mit seinem heutigen Lehrer den größten Taiji-Verband weltweit aufgebaut hat.

 

Bei Christels wöchentlichen Autofahrten zwischen Hamburg und Bremen sammelte sie ein trampendes, polnisches Tänzerpaar auf ihrem Weg nach Paris auf. Die Autofahrt mit Christel bewog die Beiden, von ihren Paristräumereinen abzulassen. Sie wurden Christels eifrigste Schüler und wohnten, wie viele andere, in ihrem großen Haus in Bremen. Cashia, eine zierliche Frau, lernte später bei mir begeistert das Kämpfen und wurde dann von Ben Lo, einem direkten Cheng Man Ching Schüler als Ausnahmetalent entdeckt. Er komplimentierte sie zu sich in die USA, wo sie Push Hands Champion in ihrer Gewichtsklasse wurde, später vom Taiji abkam und inzwischen als Gurina in Kalifornien lebt.

 

Auf einer Wanderung durchs Himalaja freundete sie sich mit einem tibetischen Sherpa an. Sie sprach kein Wort seiner Sprache, er keines der ihren. Trotzdem nahm Christel ihn, begeistert von der Reinheit seiner tibetischen Seele, mit nach Bremen. Dort erlitt er einen Kulturschock, verunglückte lebensbedrohlich und unversichert, gewann die Liebe einer Taijischülerin und führt inzwischen ein glückliches Leben in Bremen. Er war der treuste Besucher an Christels Bett der Stille im Altenpflegeheim.

 

Auf einer Fußwanderung durch ein Dorf, an einem abgelegenen See in den Bergen Taiwans, wurde sie auf einen Tee zu einer Tatamiflechterfamilie in deren Haus auf dem See eingeladen. Daraus wurde ein Projekt, das noch bis in mein heutiges Leben wirkt: Die Familie flocht von dem Tag an Tatamis für Christel und schaffte sie mit dem Esel über den Berg zum nächsten Dorf mit Straßenanschluss. Ein Jahr später wurde ein Container beladen und von Christels gegründeter Importfirma nach Bremen verschifft. An einem der wenigen Wochenenden, an denen Christel allein in ihrem Haus war, lud ein LKW diesen Container vor ihrer Haustüre ab. Der Fahrer teilte Christel mit, er würde den leeren Container einen Tag später wieder abholen. Meinen 16jährigen Sohn Benjamin hat Christel unter anderem dadurch beeindruckt, dass sie aufrecht unter seinem ausgestreckten Arm hindurch gehen konnte. Diese kleine Christel also schleppte eigenhändig einen vollen Container handgewobener massiver 180 x 90 cm Schilfrohrmatten in ihren Keller. Zwei dieser Tatamis schenkte sie später mir. Sie liegen heute noch bei jeder meiner Taijistunden in der Raummitte und dienen uns als Teetisch. In der Regel tragen zwei meiner Schüler so einen Tatami wieder zurück an die Wand, wenn der Unterricht beginnt.

 

 

Ich selbst hatte nach meinem Abitur das Gefühl, dass Christel der einzige Mensch war, dessen Leben ich für mich als Vorbild nehmen konnte. Auch ich wollte ein Leben über die Grenzen der Gewohnheit hinaus führen. Ich nahm mir vor, den Atlantik mit einem Heizungskessel zu überqueren. Als ich den Heizungskessel, einen Mast und einen Kiel beieinander hatte, verboten mir meine Eltern die Unternehmung zu meinem Selbstschutz. Geknickt musste ich auch Christel absagen, die mir versprochen hatte mitzufahren. Jahre später erzählte ich diese Geschichte meinem Reisegefährten Rüdiger Nehberg, der das Projekt so hervorragend fand, dass er daraufhin gleich dreimal den Atlantik mit, wie er es nannte, „ungeeigneten Fahrzeugen“ überquerte.

 

Ich bin dann anstatt mit dem Heizungskessel über den Atlantik, einen Wüstenfluss auf einem selbst gebauten Floß hinuntergefahren. Diese Reise wäre mir beinahe zum Verhängnis geworden. Zwei Abenteurer fanden mich und lieferten mich in einem Krankenhaus ab. Gescheitert kehrte ich nach Deutschland zurück und traf Christel. Vor ihrer Hamburger Wohnung standen wir unter dem Sternenhimmel. Ich schaute nach oben und seufzte: „Die Welt ist so unendlich groß und ich so unendlich klein“. Christel schaute mich ganz überrascht und etwas verständnislos an und meinte: „Sieh doch nur, Du bist doch ein Teil von diesem unendlich Großen, Wundervollen“.

 

Es brauchte aber gar keine großen Ereignisse. Als die Sonnenstrahlen auf den frisch eingegossenen Tee fielen, entdeckten wir, begeistert wie Kinder, dass der Dampf genau betrachtet aus unendlich vielen feinsten Wassertröpfchen bestand. Wir sahen diese Tröpfchen, den wechselnden Tanz von Steigen und Sinken, den Wechsel der Form, von Yin und Yang vollführen.

 

In den letzten 10 Jahren nahm mich Christel oft als Assistent mit auf ihre Taiji-Workshops in Bremen, Deutschland und Europa. Immer waren die Kurse voll begeisterter Anfänger. Es gab Schüler von ihr, die seit 20 Jahren bei ihr lernten, die Taiji Form noch nicht allein laufen konnten, aber ganz glücklich waren, bei Christel zu sein und mit ihr zusammen das Taiji teilen zu können. Wir haben dann immer die Gruppen aufgeteilt, so dass Christel die eine Hälfte am Vormittag und die andere Hälfte am Nachmittag unterrichtete. Sie hat ihren Schülern in der Woche die Taiji Langform gelernt, während ich der jeweils anderen Hälfte der Gruppe in der selben Zeit das Vorbereiten aufs Qi wecken lehrte, also etwa ein 50stel des Formvolumens von Christel. Bei mir haben die Schüler die Verzahnung von Mechanik und Lebensgefühl beforscht, die Grundlagen der Grundlagen der Kampfkunst entdeckt. Christel unterrichtete direkt das Gefühl des Loslassens in den Moment und natürlich auch die Begeisterung für Christel selbst.

 

 

Christel war ein Star und liebte es bewundert zu werden. Sie liebte die Begeisterung an sich und hatte wenig übrig für das, was sie das „Taiji Expertentum“ nannte. Push Hands, all zu hoch auflösende Mechanik, alles was nicht unmittelbar zugänglich war, mochte sie nicht. Dafür liebte sie es, mit den Schülern nach dem Unterricht, auch wenn es in Zen Klöstern verboten war, heimlich zu rauchen. Sie kam von einem zweiwöchigen Intensivtraining bei dem großen Meister Ben Lo aus den USA zurück und war vor allem begeistert von den tollen jungen Leuten, mit denen sie die Nächte durchgetanzt hatte. Von allem, was sie bei Ben Lo an Taiji kennen gelernt hatte übernahm sie nur ein kleines Formdetail: Den kessen Blick über die Schulter, beim „Bogen spannen und den Tiger schießen“.

 

Sie hat ihre fortgeschrittenen Schüler immer zum Unterrichten ermuntert. Wenn Einer sich traute, selbst zu unterrichten, hat Christel ihm so lange Anfänger aus ihrem überquellenden Füllhorn zugeführt, bis der Nächste das Unterrichten anfing. Viele dieser Junglehrer wollten nun weiterlernen und drängten Christel dazu ein Zentrum aufzumachen. Sie sollte eine Stiftung gründen und ein Haus kaufen. Das alles war Christel zu formal und so blieben wir, wie zu früh aus dem Nest Gestoßene, ohne rechte Orientierung. In dieser Stimmung habe ich die Idee eines freien Interessenverbandes von Taijispielern gebracht. Wir sollten uns treffen und unser Wissen und Forschen miteinander austauschen. Ich habe einen 10-Punkte-Plan über unsere Absichten verfasst und ihn mit Christel und einigen ihrer nächsten Schüler geteilt. Christel hat dem Projekt den Namen „Netzwerk“ gegeben und sich nach unserem dritten Treffen verabschiedet. Wir sollten uns frei und unabhängig von ihr weiterentwickeln. Christel hat sich damit sehr viel erspart, da es leider selten um Taiji, dafür aber oft über Tagesordnungspunkte ging. Es hat viele Jahre und sehr viel Geduld gebraucht, bis das Taiji Netzwerk schöne Früchte trug. Heute ist der Verein die stil- und lehrerübergreifende Interessensvertretung für Taiji-Lehrer in Deutschland. Zu der 20-Jahr-Feier wurde Christel als Initiatorin gefeiert. Ihr besonderes Qi hat große Früchte getragen und die Taiji-Entwicklung in Deutschland wäre grundlegend anders und wahrscheinlich weniger lebendig verlaufen ohne Christel.

 

Taiji-Politik hat Christel nie betrieben. Ihr Teil war, die Schüler zu inspirieren. Mich hat sie im Besonderen mit der Leidenschaft für die getriebige Verbindung von Geistwegen und Körpermechanik angesteckt. Am liebsten aber waren ihr Menschen.

 

 

Christel und ich haben unsere knappe Zweisamkeit in den letzten Jahren, die sich vor allem auf unseren Zug- und Flugreisen zu den Workshops erstreckte, mit dem Erzählen von Geschichten, vorzugsweise Liebesgeschichten, zugebracht. Ihr Leben war davon so voll wie ein saftiger, überquellender, langer Sommer. Sie selbst konnte Vater und Sohn zugleich lieben, hat zeitgemäß das Flaschendrehen mitgespielt, die verschiedenen Geliebten, die ihr Mann auf seinem Liebesweg verschliss, in ihrer Küche wieder aufgebaut und mit Taiji ihren Selbstwert gestärkt. So habe auch ich einige dieser Verflossenen im Sinken und Entspannen unterrichtet. Auf unserer letzten Bahnfahrt fragte ich sie, welches eigentlich die größte Liebe ihres Lebens gewesen sei. Sie zögerte nur kurz: Ottokar, ihr Mann.

 

Um sie herum lebte die Welt einen großen Atem, es war als existiere sie in einem von Marces´s südamerikanischen Romanen.

 

Auf der letzten Reise, die wir noch wenige Monate vor ihrem Sturz machten, konnte sie eigentlich ihre Taiji Form nicht mehr richtig laufen, aber trotzdem noch mühelos eine Gruppe von 30 Schülern begeistern. Wenn sie sich innerhalb der Form verlief, riefen ihr die Schüler zu: „Christel, Du hast doch ein Bild vergessen“. Wenn sie das aber überhörte und einfach ihre Form weiterlief, folgte die ganze Gruppe geschmeidig ihrer spontanen Formabwandlung, als wäre es nie anders gewesen.

 

Einmal habe ich miterlebt wie sie ihrem Tod begegnet ist. Bei einem großen Workshop in Spanien wanderten wir mit dem ganzen Kurs in die Berge. Sie klagte danach über Schmerzen im Bein und ein paar Ärzte unter ihren Schülern stellten einen Thrombus im Unterschenkel fest, der sich lösen und unmittelbar tödlich wirken könne. Christel weigerte sich aber in ein Krankenhaus zu fahren. Zu lieb waren ihr die Schüler und zu verhasst das Kranksein. Wir beide haben dann einen stillen Abend mit Rotwein zugebracht und sie hat noch zwei rote Schokoladenherzen aus ihrem Gepäck hervorgezaubert. Wir haben uns dankbar verabschiedet, mit der offen Frage, ob es für sie noch einen Morgen geben werde. Ich habe die Nacht vor ihrer Türe geschlafen, sie sollte nicht allein sein. Am nächsten Morgen war sie wieder vor Sonnenaufgang mit der ganzen Gruppe auf der Terrasse, um mit einer Qi Gong Übung die erste Sonne in unsere Herzen und Leben aufzunehmen.

 

 

Ihr sollte noch ein weiterer Lebensabschnitt bevorstehen. Sie hatte ihre Taiji-Kurse in Hamburg und Bremen aufgelöst und sollte in ein neugebautes Gartenhaus zu ihrer geliebten 5jährigen Enkeltochter ziehen, der sie sich so seelenverwandt fühlte. Am Vorabend ihres Umzugs stürzte sie auf der Treppe, brach sich den Arm und – im Krankenhaus wurde es erst zu spät entdeckt: Sie hatte sich auch eine Hirnblutung zugezogen.

 

Wie ihr Meister Cheng Man Ching und dessen namhaftester Schüler Master Huang: Sturz auf der Treppe, Hirnblutung, Koma. Die beiden Meister sind ohne Zutun moderner Medizin schnell gestorben. Christel ist in einem Zustand stabilisiert worden, in dem sie für die Welt nicht mehr erreichbar war. Für Momente konnten ihre Augen noch Halt finden, ihre Worte noch Sinn ahnen lassen. Ich habe sie im Rollstuhl mit in den Park genommen und lange mit ihr gesprochen, habe ihr all das sagen können, was sonst so nicht aussprechbar gewesen war. An besonders nahegehenden Stellen, meinte ich, sie zucken zu sehen oder tiefer zu atmen.

 

Tatsächlich aber ist sie in ein Kloster innerer Stille eingekehrt, ungestört von dem Zuviel an Leben, das immer um sie herum war. Sehnlich hatte sie sich immer Stille gewünscht und zugleich leidenschaftlich vermieden. Auf ihre eigenwillige Weise hat sie auch diesen Wunsch noch erfüllt bekommen. Als ihre Zeit um war, hat ein Willensanteil von ihr entschieden die Nahrung zu verweigern. Ihre Familie hat das respektiert und so fand Christel schließlich einen friedlichen und selbstbestimmten Tod.

 

Was auch immer Christel getan hat, hat sie mit vollem Einsatz getan, voller Neugierde aufs Leben, immer offen für den Moment und für die erstaunlichsten Wandlungen. Es fühlte sich ein wenig so an, als habe ihr Körper und ihr Geist keine träge Masse. Die tiefste Liebe hatte sie ganz einfach für den Moment. Über dem was jetzt gerade geschah, verblasste alles andere zu einem fernen Wetterleuchten.

 

Daniel Grolle

Christel Prokschs Tai Chi Buch

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